Radikales Update statt Minireformen
Beim Symposium „Health Economics“ waren sich Experten einig, dass Reformen beim Gesundheitssystem dringend notwendig seien
Kassenärzte als Mangelware, enorm lange Wartezeiten auf Termine und Spitalspersonal am Limit: Kurz vor der Nationalratswahl zählt die Zukunft des Gesundheitswesens zu den drängendsten Fragen der Politik. Welche Reformen es dringend benötigt, erörterten die Teilnehmer beim „Health Economics“ Symposium der Wiener Ärztekammer, das unter dem Motto „Gesundheit reformieren!“ kürzlich im Palais Wertheim in Wien stattfand.
Allgemeiner Tenor: Wir haben eines der besten, wenn auch teuersten Gesundheitssysteme weltweit. Das braucht allerdings ein radikales Update und keine zögerlichen Minireformen.
Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen und Wiener Ärztekammer, findet klare Worte, wenn es um die Zukunft des Gesundheitssystems geht: „Wer möchte, dass wir mehr Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen System haben, muss die Arbeitsbedingungen verbessern, egal ob wir von der Niederlassung oder dem Spital sprechen.“ Konkret braucht es einen Bürokratieabbau und verstärktes Augenmerk auf das Thema Vereinbarkeit von Betreuungspflichten und Job. „Zudem muss es im Bereich Vorsorgemedizin und Prävention eine massive Stärkung geben“, so Steinhart.
Erwin Rasinger, Allgemeinmediziner und 23 Jahre lang Gesundheitssprecher der ÖVP, sieht die Qualität des österreichischen Gesundheitswesens als unbestritten, aber die Politik möchte nicht viel Geld dafür ausgeben. „Ich ordne unser System unter die Top drei weltweit ein. Wir sind zum Beispiel Weltspitze im Reha-Bereich oder in der Brustkrebsbehandlung. Aber, und dieser Vergleich begleitet mich schon sehr lange, die Österreicher wollen einen Rolls Royce in der Versorgung, sie wollen aber nur die Kosten eines VW dafür ausgeben. Das funktioniert so nicht.“
Thomas Szekeres, Ehrenpräsident und ehemaliger Ärztekammerpräsident, sieht es ähnlich. „Die zusätzlichen Ausgaben von zwei Milliarden in der Gesundheitsreform 2024 sind in Relation zu den Gesamtausgaben von 52 Milliarden eher ein Tropfen auf den heißen Stein, auch wenn uns das als Meilenstein verkauft wurde.“
Harald Widhalm, Mediziner und Referent für Gesundheitsökonomie in der Wiener Ärztekammer und Mitorganisator der Veranstaltung, wirft ebenfalls einen Blick auf den Nachwuchs. „Jede dritte Medizinabsolventin und -absolvent wandert ab. Wir müssen die Gründe dafür besser verstehen und effizient gegensteuern. Zum Beispiel mit besserer Bezahlung und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und wir müssen Ärztinnen und Ärzte bundesweit gleich entlohnen, es kann nicht sein, dass man im Burgenland im Spital deutlich mehr verdient als ein Bundesland weiter. Zudem müssen Maßnahmen gegen den eklatanten Pflegemangel gesetzt werden.“
Thomas Holzgruber, Generalsekretär der Wiener Ärztekammer, betont ebenfalls die Finanzierungsfrage. „Hier muss es endlich ein Commitment seitens der Politik geben. Wer heute einen kleineren chirurgischen Eingriff machen lässt, geht entweder ins Spital oder in die Niederlassung, denn die Ärztin oder den Arzt, der diesen Eingriff dort machen kann, den findet man problemlos. Die uns allen bekannte Crux: Zahlen wird die Kasse die Leistung in der Niederlassung nicht. Und das muss ein Ende haben. Denn es gibt hier sehr viel Luft nach oben, was die Entlastung der Spitäler betrifft.“ Wichtig sei außerdem das Thema Konzernisierung, denn „private Player im Gesundheitssektor, Stichwort VAMED-Verkauf an französische Investoren, sind keine Lösung. Wer privates Geld in die Hand nimmt, möchte Rendite sehen.“ Die Ökonomisierung stünde damit vor dem Patientenwohl.
Eindringliche Schlussworte fand Kammerpräsident Steinhart: „Kranksein kann jeden treffen. Die solidarische Krankenfinanzierung, die wir fordern, eine gesundheitliche Grundversorgung, die für alle zugänglich sein muss, die kostet den Staat etwas. Dafür bieten das Gesundheitssystem und die Ärztinnen und Ärzte auch eine sehr hohe Qualität an. Ein reicher Staat wie Österreich kann und sollte sich das für die Patientinnen und Patienten leisten.“
Zur Veranstaltung: Auf Einladung der Ärztekammer für Wien sprachen Ärztekammerpräsident Johannes Steinhart, Ehrenpräsident Thomas Szekeres, Erwin Rasinger, langjähriger Gesundheitssprecher der ÖVP, Harald Widhalm, Referent für Gesundheitsökonomie der Wiener Ärztekammer, Thomas Holzgruber, Generalsekretär der Wiener Ärztekammer, Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, Hans Jörg Schelling, Prävenire-Präsident und ehemaliger Finanzminister, Clemens Martin Auer, ehemaliger Sektionschef im Gesundheitsministerium und Präsident des European Health Forum Gastein, Juliane Bogner-Strauß, ehemalige steirische Gesundheitslandesrätin, der grüne Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner sowie Stefan Gara, Gesundheitssprecher der NEOS Wien, über die Herausforderungen im Gesundheitssystem.
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