Pressekonferenzen
Ärztekammer fordert Medikamentenabgabe in Ordinationen
Damit könnten unnötige Wege kranker Menschen sowie vermeidbare Ansteckungen vermieden werden - Diagnose, Beratung und Diskretion sind nur in Ordinationen garantiert
Die Ärztekammer sieht einen dringenden Bedarf für eine Verbesserung und Modernisierung der Medikamentenversorgung in Österreich. „Für die beste, schnellstmögliche, diskrete, sichere und nahe Versorgung unserer Patientinnen und Patienten mit den für ihre Gesundheit nötigen Medikamenten fordern wir daher die direkte Abgabe von Medikamenten durch Ärztinnen und Ärzte in Österreich“, betonte Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen und Wiener Ärztekammer sowie Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte, heute, Donnerstag, anlässlich der Präsentation der demnächst anlaufenden Informationskampagne „Medikamentenabgabe in Ordinationen“.
Die Ärztekammer will damit eine zusätzliche Schiene für die Arzneimittelversorgung der österreichischen Bevölkerung legen. Alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – egal, ob mit oder ohne Kassenvertrag – sollen das gesetzlich verbriefte Recht, das sogenannte Dispensierrecht, zur direkten Abgabe apotheken- und verschreibungspflichtiger Arzneimittel in ihren Ordinationen erhalten. „Wir sehen das als sinnvolle Ergänzung und nicht als Konkurrenz zu den öffentlichen Apotheken“, so Steinhart.
Ein zentrales Argument für das Dispensierrecht für Ordinationen ist, dass es zu einer besonders patientenfreundlichen Abgabeform führt. Kranken Menschen und ihren Angehörigen werden damit oft lange Wege bis zur nächsten diensthabenden Apotheke erspart. „Die direkte Abgabe von Medikamenten in Ordinationen wäre ein Vorteil vor allem, aber nicht nur, für immobile Menschen, chronisch Kranke oder Eltern mit kleinen Kindern“, sagte Naghme Kamaleyan-Schmied, Obfrau der Sektion Allgemeinmedizin der Ärztekammer für Wien und niedergelassene Kassenärztin in Wien, bei der heutigen Startpressekonferenz zur Kampagne. Das erspare unnötige Wege und schütze andere Menschen vor Ansteckung. Auch angesichts der demografischen Entwicklung und einer steigenden Zahl älterer Patientinnen und Patienten gewinne die direkte Medikamentenabgabe beim Arzt- oder Hausbesuch an Bedeutung.
Speziell im städtischen Bereich ist es für kranke, ältere oder immobile Menschen oft eine fast unüberwindbare Herausforderung, nach dem Ordinationsbesuch noch einmal in die Straßenbahn, den Bus oder die U-Bahn zu steigen, um etliche Straßenzüge weit entfernt eine Apotheke zu finden. „Aber auch wenn eine Apotheke vielleicht nur wenige Gassen entfernt von der Ordination liegt, ist der Weg dorthin für Menschen, die sich zum Beispiel nur mehr mit einem Rollator oder anderen Gehhilfen fortbewegen können, eine kaum mehr bewältigbare Belastung“, betont Kamaleyan-Schmied, die auch darauf hinweist, dass im ländlichen Bereich unnötige Fahrten mit dem Pkw wegfielen – „ein Argument, dass gerade in Zeiten der Diskussion um Klimaerwärmung eine zunehmende Rolle spielt“.
Die Medikamentenversorgung durch Ärztinnen und Ärzte ist eine Realisierung des Konzepts „Best Point of Service“, denn, so Steinhart: „Nicht nur Aufklärung, Information und Beratung über die medikamentöse Therapie, sondern auch die Abgabe erfolgt dann aus einer kompetenten Hand.“ Dies liege nicht nur im Interesse des Patientenkomforts, sondern könne auch die Therapietreue durch die Stärkung der Arzt-Patienten-Beziehung wesentlich unterstützen. Für die beste Patientensicherheit sei es daher optimal, wenn Patientinnen und Patienten ihre Medikamente direkt in der Ordination erhielten. Zudem könnten dadurch, etwa bei Grippewellen, unnötige Infektionen vermieden werden, und es sei ein wesentlicher Beitrag dafür, bei einer möglichen weiteren COVID-19-Welle die Infektionskurve flacher zu halten.
Diskretionsbedürfnis wird Rechnung getragen
Aus ihrem Ordinationsalltag berichtet Kamaleyan-Schmied, dass viele Patientinnen und Patienten Medikamentenverschreibungen bei für sie als tabuisiert erlebte Krankheiten in weit entfernten Apotheken einlösen, um nicht vom Apothekenpersonal oder anderen Kunden erkannt zu werden: „Die Medikamentenabgabe durch verschreibende Ärztinnen und Ärzte würde diesem Diskretionsbedürfnis entsprechen, da Ärztinnen und Ärzte mit ihren Patientinnen und Patienten allein im Behandlungszimmer sind und intime Details dort ohne Zuhörer an- und besprochen werden können.“
In der Apotheke hören viele Ohren mit. „Nur Hausärztinnen und Hausärzte bürgen für absolute Diskretion. Ich persönlich möchte nicht, dass die Menschen in der Apotheke in der Schlange hinter mir erfahren, welche Medikamente ich nehme oder welche Krankheit ich habe. Daher fordern wir die direkte Medikamentenabgabe in Ordinationen, wie sie auch in den meisten Staaten weltweit üblich ist“, betont Kamaleyan-Schmied.
Die Forderung der Ärzteschaft wird auch von der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher unterstützt: Aktuellen Umfragen zufolge wünschen sich mehr als zwei Drittel der Patientinnen und Patienten, dass sie ihre Medikamente direkt in der Ordination beziehen können. (bs)