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Coronavirus – Wie bekommt man die Pandemie in den Griff?

Coronavirus – Wie bekommt man die Pandemie in den Griff?

Durch die steigenden Infektionszahlen wird die Frage immer drängender, wie sich die Pandemie weiter unter Kontrolle halten lässt. Infektionsvermeidung, Containment und Therapie sind zentrale Punkte.

„Ein Ende der Pandemie kann erst durch einen sicheren Impfstoff oder eine wirkungsvolle Therapie erreicht werden“, bringt Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, die Ausgangslage auf den Punkt. Eine Pandemie läuft in Phasen meist über einige Jahre, bei den Coronaviren ist die Lage aber im Besonderen unberechenbar. „Es ist damit zu rechnen, dass uns die Pandemie mit weiteren Schwankungen je nach Ausbrüchen und Saisonalität noch länger begleiten wird“, so Szekeres, der daher auf die Möglichkeiten hinweist, die es derzeit gibt.

Zur Infektionsvermeidung empfiehlt sich weiterhin konsequente Disziplin, was das Abstandhalten und die Händehygiene betrifft, unterstreicht Szekeres. Zur aktuell wieder aufgeflammten Diskussion um die Maskenpflicht in Österreich hat der ÖÄK-Präsident eine klare Vorstellung: „Im Freien ist keine Maske nötig, wenn der nötige Mindestabstand eingehalten wird. In geschlossenen Räumen sieht es dagegen anders aus: Hier sollte eine Maske getragen werden, wenn nicht ein Mindestabstand garantiert werden kann“, sagt Szekeres. Auf Chorsingen und ähnliches sollte man in geschlossenen Räumen jedenfalls verzichten, zudem sollte man besonders in Fabriken mit vielen Menschen auf kleinem Raum Vorsicht walten lassen.  „Am besten wäre es, wenn die Menschen freiwillig wieder mehr Masken, insbesondere in geschlossenen Räumen, trügen.“ Da das aber nicht klappt, ist Szekeres dafür, die Maskenpflicht wieder deutlich auszuweiten, insbesondere in Supermärkten und auch Geschäften, wo die Abstandsregeln zunehmend weniger bis gar nicht eingehalten werden. „Das sollte sehr rasch gemacht werden“, sagt Szekeres.

Auch in der Frage des Containments betont der ÖÄK-Präsident die Wichtigkeit der grundsätzlichen Hausverstandsregel, bei Symptomen zu Hause zu bleiben. Vor Arzt- und Spitalsbesuchen sollte unbedingt auch zukünftig eine telefonische Anmeldung erfolgen. Zudem ist dringend angeraten, die Corona-App auf dem Smartphone zu installieren. „Sie wirkt aber nur dann, wenn genügend Menschen sie am Handy haben“, appelliert Szekeres und verweist auf das Beispiel Deutschland, wo – mit intensiver Unterstützung der Regierung – binnen drei Wochen bereits 15 Millionen Downloads gezählt werden konnten.

Zur effektiven Bekämpfung von Clustern ist die rasche Verfügbarkeit von Tests in ausreichender Menge unabdingbar. „In erster Linie sollte man Labors mit entsprechender EDV-Unterstützung und Großgeräten beauftragen, da dort die Administration von vielen Proben und Übermittlung vieler Resultate zeitnahe funktionieren“, so Szekeres.

Möglicher rascherer Weg zu einer Therapie

Neben dem Rekonvaleszentenplasma, wo noch deutlicher Bedarf an Plasmaspenden besteht, sieht Szekeres eine zusätzliche mögliche Option, rascher Stoffe beziehungsweise Medikamente verfügbar zu machen. „Das ist die Verwendung von Medikamenten, die für andere Indikationen zugelassen sind und deren Dosierungen bzw. Nebenwirkungen daher bekannt sind. Auch die Verwendung von Naturstoffen, die zum Beispiel Inhaltsstoffe von Lebensmitteln sind, würden einen wichtigen Zeitvorteil mit sich bringen, da sie mit einem verkürzten Zulassungsverfahren verabreicht werden können. In diesen Fällen haben wir eine raschere Verfügbarkeit für die Therapie“, sagt Szekeres.

Zum Rekonvaleszentenplasma fügt Szekeres an, dass die jüngste Kampagne der Ärztekammer gemeinsam mit dem ORF durchaus Erfolg gezeigt hat und die Spendenzahlen deutlich in die Höhe gegangen sind. Trotzdem müssten von COVID-19 genesene Patientinnen und Patienten noch deutlich öfter den Weg in eine Blutspendezentrale bzw. Plasmazentrum finden, um so den Vorrat an Blutplasma mit entsprechenden Antikörpern noch weiter zu erhöhen.

Die Strategie des „drug repositioning“ wurde bereits effektiv in der Krebsbehandlung eingesetzt. In der aktuellen Pandemiesituation wurde etwa mit der kürzlich erfolgten Zulassung von Remdesivir für die Behandlung von COVID-19 ein Erfolg erreicht. Dieses Arzneimittel mit antiviralem Wirkstoff wurde schon während der Ebola-Epidemie erprobt und kann den Krankenhausaufenthalt bei schweren COVID-19-Erkrankungen signifikant verkürzen.

Beim „drug repositioning“ wäre es sinnvoll, eine Vernetzung von Medikationsdaten (ELGA oder Sozialversicherung) mit den Daten aus dem EMS (Elektronisches Meldesystem der Gesundheitsbehörden) beziehungsweise den Krankengeschichten aus Spitälern herzustellen, ist Szekeres überzeugt. „In Österreich haben wir die international exklusive Position, dass die Medikation der Sozialversicherten sowohl in den Datenbanken der Sozialversicherung als auch in ELGA gespeichert ist“, so Szekeres. Die Vernetzung könne anonymisiert erfolgen, sodass keine Bedenken bezüglich Verletzung des Datenschutzes bestehen. „Es geht nicht darum, wer krank war, sondern ob es zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und Prämedikation einen Zusammenhang gibt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen bestimmten Medikamenten und leichten Verläufen? So könnten antiviral wirksame Medikamente identifiziert werden. Diese können dann schneller eingesetzt werden, da große Teile der klinischen Prüfungen wegfallen“, so Szekeres, der für eine europaweite Datenbank bereits ein gemeinsames Konzept mit Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes, ausgearbeitet hat. In einem gemeinsamen Schreiben an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, wurde um Unterstützung bei der Etablierung ersucht, was bei der Kommission auf großes Interesse gestoßen ist.  

„Um die Daten hier in Österreich zu verknüpfen und diesen Datenschatz hierzulande nützen zu können, bedarf es der Initiative und Zustimmung des Gesundheitsministeriums als übergeordnete Behörde. Ich ersuche den Gesundheitsminister, diese Verknüpfung zu ermöglichen, um dadurch hoffentlich neue Behandlungsoptionen zu eröffnen“, appelliert Szekeres.

Schutz und Unterstützung für Ärzte

„Die Pandemie geht uns alle an“, sagt Szekeres: „Alle Menschen sind als potenzielle Patientinnen und Patienten betroffen“. Für Ärztinnen und Ärzte gibt es zusätzlich durch den Beruf und den Umgang mit infektiösen Menschen eine pandemische Doppelbelastung. „Hier ist besondere Unterstützung nötig“, appelliert der ÖÄK-Präsident. Das beginne etwa beim Thema Schutzausrüstung. „Im Krankenhausbereich und vor allem in Wien gibt es hier sehr große Bemühungen, damit das Gesundheitspersonal bei einer möglichen zweiten Welle ausreichend Schutzausrüstung hat. Es muss österreichweit ausreichend Schutzausrüstung vorhanden sein, um Infektionen im Gesundheits- und Pflegebereich verhindern zu helfen. Wir Ärztinnen und Ärzte sind auf diesen Schutz schlicht und ergreifend angewiesen, da nur so die Infektion von Patientinnen und Patienten durch Gesundheitspersonal verhindert werden kann. Ein Feuerwehrmann kann ja ohne Wasser auch wenig gegen ein Feuer unternehmen“, zieht Szekeres einen Vergleich.

„Ärztinnen und Ärzte haben sich durch ihren beispielhaften Einsatz in dieser Pandemiezeit auch jegliche weitere Unterstützung verdient“, unterstreicht Szekeres. Für die gesamte Ärzteschaft gelte, dass es zusätzlich zum sozialen und mentalen Druck nicht auch noch Belastungen durch finanzielle Unsicherheiten geben dürfe. „Hier braucht es dringend Ausgleichszahlungen für entgangene Einnahmen – es wäre mehr als ungerecht, den Einsatz der österreichischen Ärztinnen und Ärzte auch noch finanziell zu bestrafen.“

Lindner: Nicht zur Tagesordnung übergehen

„Es ist wichtig, dass die Menschen nicht nachlässig oder gar leichtfertig werden, um die in Österreich erreichten niedrigen Infektionsraten nicht aufs Spiel zu setzen“, ergänzt ÖÄK-Vizepräsident Herwig Lindner. Das Bewusstsein für Hygiene und Abstandhalten müsse weiterhin bestehen, um eine weitere Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern.

„Wir haben das Glück, dass sich beispielsweise Ebola, das eine sehr hohe Letalität hat, nicht in Europa ausgebreitet hat. Allerdings sollten wir uns nicht zurücklehnen, sondern COVID-19 auch nützen, um dazuzulernen und für die Zukunft besser gerüstet zu sein“, sagt Lindner. Es sei wichtig, nicht wieder zur Tagesordnung überzugehen, sondern die Defizite im System anzugehen, die durch COVID-19 offenbart wurden.

Eines davon sei die weltweite Abhängigkeit bei Medizinprodukten und Arzneimitteln. Für die Zukunft müssten daher die Anstrengungen auf europäischer Ebene verstärkt und besser koordiniert werden. „Es braucht jetzt Investitionen in die europäische Pharmaindustrie und in die europäische Produktion von technischen Hilfsmitteln wie Schutzausrüstung für den Infektionsschutz und Beatmungsgeräten. Dass ein großer Teil der Produktion wichtiger medizinischer Güter in den vergangenen Jahrzehnten zusehends in den Fernen Osten ausgelagert wurde, ist uns eine der schmerzlichsten Erkenntnisse dieser Pandemie“, erinnert Lindner. Dass bestellte und bezahlte Lieferungen innerhalb der EU an den Staatsgrenzen festgehalten wurden, dürfe sich ebenfalls nicht mehr wiederholen. „Wir müssen viel europäischer denken und ein starkes Europa, das weniger vom Weltmarkt abhängig ist, ist die beste Antwort auf eine Pandemie, wie wir sie gerade erleben“, sagt Lindner.

Gegen eine „Normalität“ wehrt sich der ÖÄK-Vizepräsident entschieden, nämlich die „Rotstift-Akrobatik mancher Gesundheitsplaner und Politikberater“, die nun wieder vehement die Reduktion der Zahl der Spitalsbetten – insbesondere der Intensivbetten einfordern: „Damit eine Gesundheitsversorgung nicht kollabiert, benötigen wir keine Sparprogramme, sondern Großzügigkeit. Wir müssen auch für die Zukunft gerüstet sein, wenn außergewöhnliche Umstände das Gesundheitssystem belasten. Das muss nicht unbedingt eine Pandemie sein“, sagt Lindner. Letztlich könne sich eine Pandemie besser ausbreiten, je vulnerabler das Gesundheitssystem sei. Bei der Patientenversorgung solle nicht gespart werden, zudem müsste mit der ärztlichen Ressource schonend umgegangen werden.

Grundsätzlich sei es wichtig, Patientinnen und Patienten weiterhin gezielt zu versorgen. Ein stärkerer Ausbruch von COVID-19 wurde in Österreich schlussendlich auch dadurch verhindert, dass mobile Ärztinnen und Ärzte unterwegs waren und Infektionsausbrüche in Ordinationen und in Spitälern so verhindert wurden. „COVID-19 hat uns nur noch einmal gezeigt, wie wichtig eine wohnortnahe und niederschwellige Versorgung ist“, betont Lindner. Die Politik müsse genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen und in das Gesundheitssystem investieren. „COVID-19 hat weltweit viele Schwächen in unserer Gesellschaft aufgezeigt. Dort, wo Versorgungslücken sind, konnte sich COVID-19 besser verbreiten. Wir dürfen keinesfalls im Gesundheitssystem einsparen“, warnt Lindner.

„Systeme sind lernfähig, manche weniger, die anderen mehr. Jedenfalls müssen sich alle in der Krisenbewältigung Beteiligten zusammensetzen und eine ergebnisoffene ehrliche Problemanalyse in Struktur und Prozessen machen, Nur so wird es gelingen, Österreich infektiologisch zukunftsfit zu machen“, so Lindner abschließend.