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Hilferuf der Ärzteschaft in Wiens Spitälern

 

Hilferuf der Ärzteschaft in Wiens Spitälern

Wiens Spitäler sind in Gefahr. Diese Schlussfolgerung ergab eine im April 2019 durchgeführte Umfrage unter allen Wiener Spitalsärzten, um zu eruieren, wie prekär die Lage in den Wiener Spitälern tatsächlich derzeit ist. Obwohl das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) seit mittlerweile vier Jahren in Wien umgesetzt wird und seitdem die Einführung entsprechender Begleitmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung versprochen wurde, gibt es nach wie vor große Probleme, welche die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte massiv erschweren und immer weniger Zeit für die Patienten erlauben.

Mittels der Umfrage wollte die Ärztekammer erfahren, wie die Ärzteschaft die aktuelle Situation in der Patientenversorgung einschätzt, ob mittlerweile die gesetzliche Arbeitszeit eingehalten wird und ob Zeit für die Ausbildung in den Wiener Spitälern überhaupt noch vorhanden ist.

Von der Ärztekammer beauftragt wurde die unabhängige Beratungsfirma Pitters Trendexpert. Insgesamt konnten 7102 Kolleginnen und Kollegen telefonisch bzw. elektronisch und anonym in den Häusern des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV), im AKH und in den Wiener Privatspitälern teilnehmen. Die Beteiligungsquote betrug 23 Prozent, das entspricht 1612 Ärztinnen und Ärzten. Davon entfielen allein 58 Prozent auf den KAV, das sind fast 27 Prozent aller 3495 dort tätigen Mitarbeiter.

„Die Stichprobe ist repräsentativ und besitzt mit der aufgezeigten Rücklaufquote eine hohe Validität", erklärt Harald Pitters, Geschäftsführer von Pitters Trendexpert, der auch betont: „Umfragen dieser Art, die eine Teilnahmequote von etwa 25 Prozent aufweisen, sind höchst aussagekräftig."

KAV-Umbenennung ist falsche Priorität

Und hier die Ergebnisse: Hinsichtlich der Umbenennung des KAV wurden die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte befragt, ob sie mit der Umbenennung in „Wiener Gesundheitsverbund" zufrieden seien. Dabei zeigten sich 85 Prozent unzufrieden mit dem neuen Namen, mehr als die Hälfte (56 Prozent) lehnt die neue Bezeichnung komplett ab.

Wolfgang Weismüller, Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, ortet damit abermals gravierende Fehler in der Prioritätensetzung der Stadt Wien und des KAV: „Bei so vielen anderen Baustellen im Gesundheitswesen ist die Umbenennung des KAV keineswegs eine dringende Angelegenheit, die aber gleichzeitig viel Geld und Ressourcen aufbraucht."

Weismüller fordert daher die Verantwortlichen in Politik und KAV auf, „die echten Probleme raschest anzugehen und zu lösen". Die Ärztekammer werde selbstverständlich „dem KAV mit Rat und Tat zur Seite stehen", sollte dies geschehen.

Problem mit Nachtdiensten als „Dauerbrenner"

Etwa acht von zehn Ärztinnen und Ärzten (81 Prozent) gaben an, Nachtdienste zu leisten. Brisant wird es, wenn danach gefragt wird, ob man diese Nachtdienste auch rechtzeitig verlassen kann: Nur knapp mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Ärzteschaft kann demnach ihre Nachtdienste immer zeitgerecht verlassen.

Das Ergebnis unterscheidet sich kaum nach Alter, Geschlecht und Arbeitgeber – es betrifft also den KAV und die anderen Spitäler gleichermaßen. Fast alle derjenigen, die länger nach Nachtdiensten bleiben müssen (96 Prozent), tun dies einmal pro Monat oder öfter, 57 Prozent sogar mindestens einmal pro Woche. Großteils fallen dabei zwischen einer Stunde und drei Stunden mehr Zeitaufwand an. Die drei Hauptgründe dafür sind Dienstübergaben (62 Prozent), administrative Tätigkeiten (50 Prozent) sowie die Patientenversorgung (40 Prozent, Mehrfachnennungen möglich).

„Die Situation hat sich seit unserer letzten Erhebung 2018 deutlich verschlechtert", kommentiert Weismüller und erklärt: „Letztes Jahr gaben die Kolleginnen und Kollegen noch an, einmal pro Monat länger bleiben zu müssen. Jetzt passiert das beim Großteil schon jede Woche. Wenn die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen durch unnötige Bürokratie von ihrem Arbeitgeber länger als erlaubt zwangsbeschäftigt wird, dann ist das nicht nur organisatorisch ein Desaster, sondern schlicht und einfach auch illegal."

Die regelmäßigen Befragungen der letzten Jahre seien ein Beweis für die massive Arbeitsverdichtung bei weniger werdendem Personal mit steigendem Patientenaufkommen. „Wir haben es schwarz auf weiß – die Situation wird immer schlimmer, und niemand unternimmt etwas dagegen", so Weismüller.

Arbeitsverdichtung und Personalmangel steigen

Für 86 Prozent der Wiener Spitalsärzte hat sich die Arbeit in den letzten Jahren verdichtet, im KAV sehen das bereits neun von zehn Ärztinnen und Ärzten so. Knapp 82 Prozent im KAV empfinden, dass sie zu wenig Zeit für ihre Patienten haben, nur knapp 5 Prozent haben ausreichend Zeit. Folgerichtig gaben etwa 85 Prozent der KAV-Ärzte an, dass es an ihrem Arbeitsplatz zu wenig Personal gebe.

Weismüller: „Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden durch die Umfrage bestätigt, der Trend geht ganz klar nach unten. Es muss jetzt gehandelt und mehr Personal zur Verfügung gestellt werden."

Die negative Entwicklung sei deutlich aufgezeigt worden, man dürfe daher „nicht zuwarten, bis es lückenlose 100 Prozent sind, die auf Fehlentwicklungen hinweisen". Die Probleme müssten „jetzt gelöst werden".

„Auch das Krankenhaus Nord wird nicht zur Entlastung beitragen", erklärt Weismüller und führt weiter aus: „Die Personalbedarfsberechnung der Generaldirektion des KAV ist schlichtweg falsch, wichtige medizinische Fächer sowie die Zentrale Notaufnahme werden in dem neuen Spital von Anfang an hoffnungslos unterbesetzt sein." Der Ärztekammer liegen laut Weismüller entsprechende – auch dem KAV bekannte – Berechnungen vor, „die eindeutige Mängel in der Personalplanung des Krankenhauses Nord aufweisen".

Schlechtes Zeugnis für Ausstattung

Unzufrieden zeigen sich auch viele Ärztinnen und Ärzte mit der Infrastruktur in den Wiener Spitälern. 41 Prozent sind demnach nicht zufrieden mit der baulichen Ausstattung. Mit der IT-Ausstattung am Arbeitsplatz sind sogar 53 Prozent, also mehr als die Hälfte, unzufrieden.

Bestätigt fühlt sich die Ärztekammer in ihren Forderungen zur Einrichtung von Zentralen Notaufnahmen (ZNA) in allen Wiener Gemeindespitälern. Weismüller: „Dort, wo die ZNA bereits da sind, funktioniert die Erstversorgung relativ gut, die Kolleginnen und Kollegen zeigen sich zufriedener." ZNA gibt es derzeit nur im AKH sowie im Bereich des KAV im Krankenhaus Hietzing und im Wilhelminenspital.

„Das Ergebnis ist auch hier eindeutig: Die Infrastruktur der in die Jahre gekommenen Spitäler muss jetzt erneuert werden", sagt Weismüller und erneuert seine Forderung nach einer Infrastrukturmilliarde für die Wiener Spitäler, „denn auch hier wird das neue Krankenhaus Nord allein nicht ausreichen, um aktuell eine moderne medizinische Infrastruktur in ganz Wien argumentieren zu können".

Ausbildung am „Abstellgleis"

Laut Umfrage ist mehr als ein Drittel der befragten Ärztinnen und Ärzte (39 Prozent) in Ausbildung. Auf die Frage, ob sie innerhalb der vorgesehenen Arbeitszeit neben den herkömmlichen Routinetätigkeiten Zeit für ihre Ausbildung haben, antworteten etwa 70 Prozent, dass ihnen meist die Möglichkeit für die Ausbildung während ihrer regulären Arbeitszeit fehle.

Umgekehrt haben zwei Drittel (66 Prozent) der ausbildenden Ärztinnen und Ärzte auch keine Zeit für die Ausbildung der Jungmediziner.

Mehr als die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung (51 Prozent) hat keine Zeit für Ausbildung aufgrund von Bürokratie, mehr als zwei Drittel (69 Prozent) müssen mehrmals pro Woche Tätigkeiten entgegen ihrem Ausbildungsstatus durchführen. Im KAV ist die Situation besonders prekär: Nur knapp die Hälfte (45 Prozent) weiß von einem konkreten Ausbildungskonzept am Arbeitsplatz, 47 Prozent werfen ihrem Arbeitgeber sogar vor, kein Commitment für ihre Ausbildung zu haben.

„Die Ausbildung der Kollegenschaft wird vom Dienstgeber immer mehr aufs Abstellgleis gestellt", kommentiert Weismüller das schlechte Resultat. Ein weiterer Beweis dafür sei, dass eher die Bürokratie, und nicht die Tätigkeit in der Patientenversorgung, das Hindernis für ausreichend Ausbildungszeit sei. „Zu einem gewissen Grad ist es verständlich, dass man keine Zeit für sich selbst und Ausbildung hat, wenn man anderen helfen muss. Aber für Bürokratie als Grund für mangelhafte Ausbildung darf es absolut kein Verständnis geben", so Weismüller.

Krisengipfel gefordert

Für die Ärztekammer ist die Situation mittlerweile „untragbar". Weismüller fordert daher ehestmöglich einen „Krisengipfel zur Rettung der Wiener Spitäler": „Wir haben jahrelang davor gewarnt, dass sich die Situation verschärfen wird. Jetzt ist es bereits so akut, dass wir als Ärzteschaft einschreiten müssen. Wir brauchen daher jetzt einen Krisengipfel mit allen Verantwortlichen aus der Politik und den Krankenhausträgern, in dem gemeinsam mit der Ärzteschaft das Ruder herumgerissen wird."

Aus den Ergebnissen der Umfrage resultierend hat die Wiener Ärztekammer daher ihr Forderungspaket an die Politik und Spitalsträger, insbesondere an den KAV, erneuert und fordert:

  • Wir haben eklatante Lücken in der Personalausstattung im KAV aufgrund verlorener Arztstunden durch die KA-AZG-Reform, fehlender attraktiver Arbeitsbedingungen und der bevorstehenden Pensionierungswelle. Die Ärztekammer fordert daher als Akutmaßnahme eine rasche Aufstockung des ärztlichen Personals – Wiens Gemeindespitäler brauchen, als ersten Schritt, mindestens 300 Spitalsärzte mehr!
  • Unsere Gemeindespitäler fallen in der Attraktivität immer weiter zurück – Wir fordern jetzt konkurrenzfähige Grundgehälter im Vergleich zum niedergelassenen Bereich!
  • Die Infrastruktur in den Spitälern zeigt große Schwächen auf und wird immer älter – Wir brauchen jetzt eine Infrastrukturmilliarde für die Wiener Gemeindespitäler!
  • Ausbildung und Fortbildung müssen in den Spitälern wieder ernst genommen werden – Wir fordern jetzt einen Fortbildungstausender für jeden Spitalsarzt!
  • Die Zentralen Notaufnahmen im KAV sind noch immer nicht implementiert. Die Ärztekammer fordert ehestmöglich die Umsetzung der Zentralen Notaufnahmen, um eine rasche und qualitätsgerechte Erstversorgung der Patienten zu gewährleisten – Die Patienten brauchen die Zentralen Notaufnahmen!

„Unsere Kolleginnen und Kollegen haben uns in der Umfrage abermals einen deutlichen Auftrag gegeben", resümiert Weismüller: „Die Ärztekammer nimmt dieses Ergebnis sehr ernst und sieht sich abermals gezwungen, unmissverständliche Forderungen an die Politik und die Spitalsträger zu stellen. Wir hoffen, dass es gelingen wird, im Rahmen eines baldigen Krisengipfels die Situation gemeinsam zu meistern."

Ihr Gesprächspartner:

Dr. Wolfgang Weismüller
Vizepräsident und Obmann der Kurie angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien
Telefon:0676/882 882 10
E-Mail: mmmd2Vpc211ZWxsZXJAYWVrd2llbi5hdA==

Dr. Harald Pitters
Geschäftsführer Pitters Trendexpert
Telefon: 0650/9210019
E-Mail: mmmb2ZmaWNlQHBpdHRlcnMuYXQ=

Kontakt für Journalisten-Rückfragen:
Ärztekammer für Wien, Dr. Hans-Peter Petutschnig
Telefon: 01/515 01-1273 DW, 0664/10 14 222, Fax: 01/512 60 23-1273,
E-Mail: mmmaHBwQGFla3dpZW4uYXQ=
online-Medienservice der Ärztekammer für Wien: www.aekwien-medienservice.at